Jürgen Stark´s Kulturkolumne #1: Brücken über´m wilden Wasser
- 27 Nov 2024
- Ortenau Journal
Von Jürgen Stark
Von Simon & Garfunkel ist wieder die Rede, mitsamt endgültiger Versöhnung der Musik-Legenden. Die beiden 83-Jährigen, einst als Duo weltbekannt, wollten ihren Zwist nicht mit ins Grab nehmen. Über viele Jahre hatten die sanften Hitmacher keinen Kontakt mehr. Jetzt gab es einen aktuellen Anlass um gemeinsam über die besungene „Brücke über das unruhige Wasser“ zu schreiten. Der Grund für den jahrelangen „Zickenkrieg“ der populären Singer/Songwriter war billige Eifersucht.
Sensible Erkenntnisse
Paul Simon beneidete Art Garfunkel um dessen Stimme und eine größere Aufmerksamkeit des Publikums. Umgekehrt hätte er gerne Simons Talent des begnadeten Hit-Songwriters. Mit seinem Sohn Art Garfunkel jr. war der Pop-Papa nun unlängst im Hansa Studio in Berlin. Der junge Mann macht hierzulande Musik mit dem Vater und auch als Solist – in deutscher Sprache. Das Duett-Album der Garfunkels trägt den Namen: „Father and Son“. Die Hits der versöhnten alten Krieger sind Legende und tragen auch sensible Erkenntnisse in sich: „The Sound of Silence“, „Mrs. Robinson“ oder „Bridge Over Troubled Water“. Versöhnung und Brücken über unruhiges, wildes Wasser. Welch Metaphern auf diese Zeit.
„Über sieben Brücken musst du gehen“, hatten Karat und Peter Maffay einst auch empfohlen. Doch wie sieht die Realität aus? Brücken in Gesellschaften und etlichen Ländern könnten wir dringend zuhauf gebrauchen. Brückenbauer gehören dazu. Aber wo sind diese? Eher stürzt doch derzeit eine „Brücke“ nach der anderen ein. Neuerdings setzen sich Künstler eben lieber gerne auf trennende Mauern und tanzen vor tiefen Gräben, verstärken Erosionen und befördern den Einsturz verbindender, gesellschaftlicher Brücken. Eine Armada von Popstars ging damit beim US-Wahlkampf „gegen Trump“ gnadenlos unter.
Billige Parteilichkeit
Als singende Wahlhelfer für Kamala Harris bewirkten sie nichts – warum wohl!? Auch hierzulande bewirkt billige Parteilichkeit nichts außer Unfrieden und gesellschaftliche Spaltung bis in die Musikszenen hinein. Sobald Künstler sich als Ersatzpolitiker geben, wirkt es meist auch peinlich, aufgesetzt und unglaubwürdig. Alles für nichts. Rocklegende Alice Cooper hatte schon vor Jahren genau vor diesem Irrweg eindringlich gewarnt: „When musicians telling people who to vote for, I think it’s an abuse of power. You’re telling your fans not to think for themselves, just to think like you. Rock’n’Roll is about freedom and that’s not freedom!“
Einmal vor politische Parteikarren gespannt, werden Musikstars zu gesteuerten „Haltungspuppen“ umfunktioniert, für Kampagnen missbraucht und in Meinungslager gedrückt – und merken es meist nicht einmal. Insofern gebührt ausgerechnet Herbert Grönemeyer jetzt Respekt weil er zuerst Friedrich Merz (CDU) und dann auch noch Robert Habeck (Grüne) – unter Androhung juristischer Konsequenzen – den politischen Missbrauch durch Verwendung seiner Songs für Parteitage oder Werbeclips untersagte.
Popstar aus der dritten Welt
Anders gesagt: Gerade hierzulande sollten, angesichts der akuten Zustände, die Herren und Damen Parteipolitiker ihre Suppe doch lieber selber auslöffeln. Am konkreten Beispiel soll hier nun aber auch Missverständnissen vorgebeugt und klar gestellt werden, was Künstler tun können, ohne sich durch plumpe Parteilichkeit unglaubwürdig und letztlich wirkungslos zu machen. Es ist ein gutes Beispiel, welches kaum noch jemand kennt, denn selbst in seiner Zeit wurde diese Episode eher als Randnotiz aus einem fernem Entwicklungsland wahrgenommen.
Die Rede ist vom Reggae-Mastermind Bob Marley, dem ersten Popstar aus der Dritten Welt. Dieser unglaublich kreative Künstler und geniale Musiker stand für seine eigene Haltung, die er nicht als Wahlkampfplakat zugunsten irgendeiner Partei penetrant vor sich hertrug. Marley war spirituell und religiös dem Rastafari-Kult eng verbunden. Er thematisierte Arm und Reich und wendete sich gegen Hunger und Armut. Er gab uns aber nicht den singenden Sozialarbeiter oder den sozialistischen Politprediger. Marley blieb Künstler und schaffte dadurch Klarheit – und hatte so über Inhalte (!) wesentlich mehr Einfluss und Ausdrucksstärke.
Gewaltige Impulse
Das ständige Geblöke gegen dieses und jenes und pro Ausgrenzung ist uns am Beispiel Rammstein ja noch in ganz besonders scheußlicher Erinnerung – hier versuchten politische Extremgruppen Künstler gleich direkt zu vereinnahmen und deren Inhalte so komplett zu kontrollieren bzw. mit Verboten zu unterdrücken. Flurschaden ohne Ende. Zurück zu Bob Marley, der der Politik gewaltige Impulse gab, ohne selbst Politik zu sein. Auch das ein Kunst-Stück.
Und so wars: Am 22. April 1978 fand das „One Love Peace Concert“ in Kingston, Jamaika, statt. Hintergrund: Auch hier ersetzten Gräben die Brücken, zwei zunehmend unversöhnliche politische Lager standen sich agressiv gegenüber. Bob Marley betrat die Bühne. Wohl wissend, dass sich die beiden verfeindeten Lager bereits im Stadium der Bewaffnung befanden, es zu ersten Schießereien auf den Straßen kam. Etwas einmaliges geschah. Dank Marleys deutlicher Unabhängigkeit und Parteilosigkeit genoss er als beliebter Musiker hohe Anerkennung über alle politischen Lager hinweg. Im Publikum saßen – ausgerechnet – die beiden politischen Rivalen und führenden Köpfe der beiden politischen Lager.
Symbolischer Handschlag
Marley sorgte unaufgeregt für eine Sensation. Zu dem Song „Jammin“ bat er den noch amtierenden Premierminister Michael Manley und dessen politischen Rivalen Edward Seaga zu sich auf die Bühne – und er ermunterte sie und brachte sie in ruhender Freundlichkeit zu einem symbolischen Handschlag. Das Wunder geschah. Die beiden hielten sich wundersamerweise lange ihre Hände, blickten sich an, was aus dem Moment mehr als Symbolik sprechen ließ. Das Publikum erstarrte – und jubelte! Und tatsächlich sollte dieser Moment für Abrüstung, für Entspannung sorgen.
Im ganzen Land sprachen die Menschen nur noch über diesen Moment. Bob Marley hatte mit seinem reinen Herzen, mit seiner unabhängigen Überparteilichkeit, soeben einen Bürgerkrieg verhindert. Das war Kunst. Keine Politik. Deshalb: Wir brauchen dringend mehr „Independent Spirits“, Künstler, die Gräben zuschütten und Brücken bauen. Alles andere ist keine Kunst.
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